DIE LINKE Kreisverband Oldenburg-Land

Ein Beitrag von Bastian Lahrmann, Ratsherr für DIE LINKE in Großenkneten.

Vielen Dank an die evangelische Gemeinde in Ahlhorn für die Möglichkeit, gemeinsam am 30. Januar 2022 eine Predigt mit Pastorin Christine Vieth zu halten.

Wir sprachen gemeinsam über den Begriff Solidarität, der aktiv gelebt werden muss, und darüber, dass Solidarität nur auf Augenhöhe funktioniert. Solidarität heißt in der heutigen Zeit, auch dem anderen zu helfen, der Hilfe braucht. Oder eben auch sich regelmäßig zu testen und, falls der Test positiv ausfällt, seine Kontakte selbstständig zu informieren.

Mein Wunsch letztlich ist es, dass man sich wieder respektvoll begegnet, gerade in hitzigen Diskussionen. Der Kern einer Diskussion ist doch auch die eigene Position verlassen zu können. Ansonsten will man nur ein Meinungsaustausch. Wenn man dazu nicht bereit ist, ist man selbst erstmal das Problem.

Aus dem Gottesdienst am 30. Januar 2022 (Vieth und Lahrmann)

Pastorin Vieth erinnert an Solidarität: ein altes Wort, schon im Alten Testament ist beschrieben, wie solidarisches Miteinander geht. Ergänzt durch die Botschaft Jesu. Doch wie ist das heute? Ist Solidarität mehr als nur die Fürsorge für den Anderen? Mehr als das Brot, das wir teilen? Wenn man für Solidarität schon auf die Straße gehen muss, dann muss es ja etwas Besonderes sein … Denn eigentlich sind wir doch schon seit Langem eine Solidargemeinschaft, oder? Wie verstehst du denn Solidarität?

Lahrmann: Ich möchte als jemand, der aus der Kirche ausgetreten ist, meine Solidarität der Gemeinde aussprechen. Wie fühlt sich die Gemeinde dabei? Das Verständnis heutzutage ist falsch, Solidarität wird heute nur jemanden ausgesprochen, der Hilfe braucht, der in irgendeiner Hinsicht dem anderen untergestellt ist (alt, krank, schwach, arm). Ursprünglich bedeutet das jedoch, als Gemeinschaft zusammen zu stehen und dies zu zeigen. Ganz aktiv auch dort zu helfen, wo Hilfe gebraucht wird. Solidarität geht nicht alleine über Facebook oder WhatsApp passiv, sondern muss auch aktiv gelebt werden. „Das bisschen mehr“ machen, also dem Nachbarn oder Nächsten auch beim Tragen helfen, wenn man sieht, dass er Hilfe braucht. Jemandem zur Seite stehen, der beleidigt wird.

Vieth: Puh, ich bin erleichtert. Das klingt vertraut, das klingt so, als würden wir es mit ein bisschen Mit-Denken hinkriegen können, solidarisch zu sein. Mitdenken und hingucken, wo wir gebraucht werden, wir als Gemeinschaft, aber auch wir ganz persönlich. Hast du ein Beispiel, wie das in Corona-Zeiten aussehen könnte?

Lahrmann: In vielen Gemeinden wurden privat Hilfsservices angeboten zur Beginn der Corona-Pandemie. Da gab es zum Beispiel „Wildeshausen hilft“. Dort sind wir auch mit Hunden spazieren gegangen, haben Einkäufe erledigt, Rezepte eingelöst bei Apotheken, Übersetzungen in Rumänisch und Bulgarisch gemacht usw. Hier bei „Großenkneten hilft“ in der Gemeinde belief sich das meistens aufs Einkaufen. Über das Netzwerk haben wir dann später auch Sachspenden für die Flutopfer gesammelt.

Solidarität heißt aber auch, jemanden freundlich daran zu erinnern, dass eine Maske getragen werden muss oder richtig getragen wird. Beim Einkaufen jemanden nicht in den Nacken hauchen, gerade bei den Wochenangeboten. Ein wenig mehr Platz zu machen in der Schlange. Das sind Kleinigkeiten, die nachher viel ausmachen können.

Vieth: Viele Dinge also, die nicht erst mit der Pandemie aufkamen. Einige Ideen stammen ja schon aus der Zeit, als so viele Flüchtlinge kamen. Das Übersetzen zum Beispiel. Und immer schon war es gut, dem kranken Nachbarn anzubieten, für ihn einzukaufen. Und die Masken? Naja, wenn irgendwer sein T-Shirt verkehrt herumträgt, war es ja auch schon immer netter, denjenigen drauf hinzuweisen, als ihn auszulachen.

Solidarität heißt neuerdings wohl auch: das positive Selbsttestergebnis selbstständig ans Amt und an die Kontakte weiterleiten und damit dazu beitragen, dass weniger Ansteckungen geschehen. Eben alles dazu beizutragen, dass sich dieses dumme Virus nicht so ausbreitet.

Erst waren die Jungen vorsichtig, weil die Älteren anfälliger waren. Dann wurden die Älteren geimpft und mussten Rücksicht nehmen auf diejenigen ohne Impfung. Auch jetzt noch gibt es Menschen, die sich nicht impfen lassen dürfen und die Kinder, für die es noch nicht ausdrücklich empfohlen wird bzw. für die es noch keinen Impfstoff gibt. Da wäre es solidarisch, wenn sich diejenigen impfen ließen, die es dürfen, um die anderen zu schützen. Oder zumindest sich regelmäßig zu testen.

Wie reagierst du, wenn jemand, den du sehr schätzt, sich nicht impfen lassen möchte? Oder komische Thesen verbreitet?

Lahrmann: Jeder hat seine Meinung. Sowohl in der Familie als auch im Freundes- bzw. Bekanntenkreis gibt es Themen, die man nicht anschneidet. Man kann sich über gewissen Themen sachlich unterhalten, auf respektvolle Weise. Wenn das nicht geht, dann schneide ich das Thema nicht an. Wenn jemand jedoch permanent versucht, mir seine Meinung aufzudrücken, dann weise ich ihn zurecht. Wenn das nicht funktioniert, dann unterhalte ich mich erstmal nicht mehr mit ihm. Entscheidend dabei ist immer der gegenseitige respektvolle Umgang – auch gerade in hitzigen Diskussionen. Die besten Kneipendiskussionen sind doch die, wo man nicht einer Meinung ist. Trotzdem gibt man doch dem anderen ein Bier aus. Da müssen wir wieder hin. Also zu dieser Art der Diskussion.

Vieth: Kneipendiskussionen, ach wie herrlich … Aber stimmt, die waren noch nie einfach und trotzdem meist schön. Hat ja tatsächlich auch keiner gesagt, dass es einfach ist mit der Solidarität.

Was ich am schwierigsten finde: Nicht hämisch zu lachen, wenn ein sogenannter Corona-Leugner oder ein Impfgegner doch erkrankt. Wie war das denn, als Bolsonaro, Trump oder Johnson erkrankten? Aber natürlich ist das nicht richtig mit dem Lachen. Und doch wird man sich seinen Teil wohl hoffentlich denken dürfen.

Mal etwas anderes, wo wir dich gerade hier haben. Du bist Ratsherr und hast damit Einblicke in die ein oder andere Gesprächsrunde, die uns in der Regel entgeht. Ich muss ein bisschen ausholen.

Ich habe gehört, dass es Menschen gibt, die Polizisten oder dem Klinikpersonal so viel Arbeit machen, dass sie nicht mehr können oder dass sie hinschmeißen. In der Zeitung wurde darüber berichtet, dass Drohbriefe an Ärzte oder Kindergärten geschickt werden. Nimmst du so eine Art Sabotage, denn als so etwas kann man solche Machtspielchen ja ruhig mal bezeichnen, als Ratsherr politisch auch wahr? Wie geht man damit um?

Lahrmann: Das ist schon so, dass die diese „Spaziergänger“ diese Form des Protestes wählen, um eben die Polizisten so zu binden, dass diese sehr viele Überstunden machen müssen um nachher ggf. sich dem zu ergeben, auch hier im Landkreis.

Mir ist zum Glück in dieser Gemeinde kein Vorfall bekannt, dass Menschen bedroht wurden. Ich hörte jedoch aus Hude, dass dort Menschen, die im Impfzentrum arbeiten, aktiv bedroht und auch angegriffen wurden. Das ist nicht der respektvolle Umgang, von dem ich sprach. Ein anderes Beispiel ist, dass ein Mensch sich über die Kreiszeitung über das Krankenhaus Wildeshausen beschwert hatte, weil die Hygienemaßnahmen nicht gut umgesetzt würden. Er müsse regelmäßig hin wegen einer Behandlung und (ich kann es nicht anders sagen) lungerte auf anderen Stationen rum, um sich dann darüber zu beschweren, dass das möglich gewesen wäre, überhaupt dort so rumzulungern.

Natürlich sind nicht alle politischen Maßnahmen perfekt, da gibt es mit Sicherheit einiges zu kritisieren. Als Vater von zwei Kindern sehe ich da einige Probleme. Darüber hinaus hat jedes Unternehmen selbstverständlich Lücken in den Maßnahmen. Das ist doch alles neu für uns alle, aber das hier funktioniert doch alles nur, weil wir uns eben mit logischem Menschenverstand und solidarisch an die Maßnahmen halten. Man muss nicht für die Maßnahmen sein um diese umzusetzen. Sich aber bewusst nicht an Maßnahmen halten oder versuchen diese zu umgehen führt doch zu nichts Besseren, sondern zu Frust auf allen Seiten.

Vieth: Manchmal heißt es wohl wirklich, auch die Maßnahmen hinzunehmen, die man selber für nicht so hilfreich oder sogar für falsch hält. Auch ich hätte einige Anregungen. Und bin nach wie vor froh, dass ich nicht entscheiden muss, was für dieses Land das Beste ist. Das ist echt ein Knochenjob. Was ich aber schön finde ist, wenn man darüber reden kann. Ihr habt mich mit eurem Mitdenk-Auftrag gut ins Denken gebracht und unsere rege Kommunikation der letzten zwei Wochen hat das ja auch gezeigt. Wir haben wirklich viel geschrieben und diskutiert, bis dieser Gottesdienst so weit stand. Hoffentlich konnten und können wir Ihnen auch einige Denkanregungen mitgeben. Noch sind wir nicht ganz am Schluss. Danke dir dafür, lieber Bastian!

Ich würde gerne nochmals die Chance nutzen, dass gerade du es bist, der hier stehst. Mitdenken Ahlhorn, das hieß vor gut zwei Wochen ein Solidaritätsmarsch durch den Ort und das heißt, jetzt bald ein Brief. Ihr wollt deutlich machen, dass Kritik richtig und ist wichtig ist und dass es Wege geben muss, diese zu äußern.

Zum Schluss noch eine Frage, wobei die vermutlich abermals nicht einfach ist, zu beantworten. Was würdest du dir konkret wünschen (von der Politik und der Gesellschaft)?

Lahrmann: Wir müssen wieder dahin zurückkommen, dass wir offen und respektvoll miteinander umgehen, gerade wenn man nicht einer Meinung ist. Dazu gehört es auch, den anderen in einer Diskussion nicht herunterzustufen oder anzugehen, sondern ein offenes Ohr zu haben für die Probleme. Jegliche Meinung beruft sich doch auf gemachte Erfahrungen, auf die jeweilige Geschichte der Person. Wir müssen der anderen Person zuhören, um zu wissen, was denn die ganz persönliche Geschichte dahinter ist.

Und letztlich: Der Kern einer Diskussion ist doch, dass man seine eigene Position verlassen kann und die Meinung des anderen ebenso annehmen kann. Alles andere wäre nur ein Meinungsaustausch. Die Frage ist also, ob wir noch offen dafür sind auch unseren Standpunkt zu verlassen. Wenn nicht, brauchen wir uns gar nicht auf eine Diskussion einlassen. Das Problem sind dann erstmal wir selbst.

Kurzum: Offen sein, Zuhören, aufeinander zugehen, seinen eigenen Schützengraben verlassen und gemeinsam an einer Lösung arbeiten.

Vieth: Nochmals: Schön, dass wir gemeinsam arbeiten konnten an der Frage, was Solidarität heute heißt. Wenn ich eines gelernt habe, dann das: Solidarität ist im Grunde immer noch das gleiche wie zu biblischen Zeiten. Ist gleich schwer oder gleich einfach wie damals. Sie ist uns aufgetragen. Das tut doch gut, dass wir da auf uralte Muster zurückgreifen können (und auf scheinbar banale Dinge wie Diskussionen an der Bar der Stammkneipe). Manchmal braucht es ein bisschen Umdenken, um sich auf unser Gegenüber einzulassen. Wäre ja blöd, wenn wir uns in unserer Meinung so stur zeigen, wie wir es bei anderen kritisieren. Es braucht ein Umdenken, oder wie ihr sagen würdet, ein Mitdenken. Ich für meinen Teil sage: Da denke ich gerne weiter mit. Und du? Amen.

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